Erhebliche Mathematikdefizite bei Studienanfängern

Ergebnisse einer 15-Jahres Studie

Image credit: John Moeses Bauan

Ergebnisse einer 15-Jahres Studie an Fachhochschulen in NRW

Die Mehrzahl der Studienanfänger in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern besitzt unzureichende Mathematik-Kenntnisse. Nach einer langjährigen Studie (2002-2016) an Fachhochschulen in NRW mit insgesamt über 40.000 Teilnehmern erreichen die Studienanfänger im Mittel nur 3,4 von 10 Punkten bei einem Eingangstest. Nur 16 % der Studentinnen und Studenten erzielen mindestens 6 von 10 Punkten.

Im Rahmen der Studie werden seit 2002 jährlich einige Tausend Tests mit Studienanfängern in den Ingenieursfächern und Informatik an 15 Fachhochschulen in NRW durchgeführt. Die Aufgaben sollen die Fähigkeit überprüfen, mit Variablen, Termen, Gleichungen, Funktionen und Graphiken umzugehen und einfache mathematische Probleme zu lösen: Lösen von Gleichungen, Termumformungen, Wurzel- und Potenzrechnung, Logarithmen, einfache lineare Gleichungssysteme, Graphen von Funktionen und elementare Geometrie. Die Aufgabenstellungen blieben während der Laufzeit der Studie unverändert um die Ergebnisse der einzelnen Jahre vergleichen zu können. Die Resultate sind – auf niedrigem Niveau – relativ stabil und besitzen eine fallende Tendenz (im Mittel 4 von 10 Punkten im Jahr 2002 bis zu 3,1 Punkten beim Test 2016). Die Ergebnisse zeigen nur geringe Unterschiede zwischen den Kursen in NRW (Standardabweichung der Kursmittelwerte ungefähr 1 Punkt).

Die Abiturienten mit Grundkurs Mathematik erzielen dabei kaum bessere Ergebnisse als ihre Kommilitonen mit Fachhochschulreife. Lediglich ein Leistungskurs Mathematik führt zu etwas besseren Ergebnissen beim Test; allerdings erreicht inzwischen auch diese Gruppe enttäuschend schwache Punktzahlen (im Mittel weniger als 4 Punkte).

“Die Ergebnisse entsprechen den Erfahrungen vieler Kolleginnen und Kollegen in den Mathematik-Lehrveranstaltungen der letzten Jahre”, so Prof. Dr. Heiko Knospe von der TH Köln. “Nur eine Minderheit bringt hinreichende Voraussetzungen für den Hochschulstoff mit, während eine größere Gruppe mangelnde Vorkenntnisse besitzt”. An nahezu allen Hochschulen versucht man das fehlende Vorwissen durch Vorkurse, Brückenkurse (wie OMB+) und zusätzliche Tutorien auszugleichen. Allerdings fehlt manchem Studierenden zunächst die Motivation für diese freiwilligen Angebote. Die Brisanz ihrer schwachen Mathe-Kenntnisse wird ihnen häufig erst nach den ersten Prüfungen klar. Hinzu kommt, dass viele Fächer im Ingenieur- oder Informatik-Studium mathematische Methoden und Verfahren verwenden und entsprechende Kenntnisse voraussetzen.

Die Gründe für die Mathe-Schwäche werden seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Der „kompetenzorientierte“ Mathematik-Unterricht des letzten Jahrzehnts legt weniger Wert auf solide inhaltliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Wissen und beschäftigt sich mehr mit (angeblich) alltagsnahen Anwendungen. Dabei bleibt die notwendige Abstraktion auf der Strecke und der mathematische Kern dieser Anwendungen ist häufig bescheiden. Außerdem wurden die Inhalte stark ausgedünnt und die Zeit zur gründlichen Einübung reduziert. Die Mathe-Probleme sind ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zu einem erfolgreichen Studienabschluss in den technischen Fächern. “Wir stellen im Hochschulbereich die Defizite fest und unterstützen die Studierenden im Rahmen unserer Möglichkeiten. Ich sehe die Schulen aber in der Verantwortung und wünsche mir z.B. eine gezielte Wiederholung grundlegender mathematischer Methoden in der Oberstufe”.

Eine wesentliche Reduktion des Stoffs oder eine Absenkung des Niveaus kommt nicht in Frage, so Prof. Knospe. “Wir passen den Mathe-Stoff an die aktuellen Anforderungen der Bachelor- und Masterstudiengänge an und orientieren uns an anderen Hochschulen im nationalen und internationalen Umfeld. Insgesamt gibt es in der Informatik und den Ingenieurwissenschaften weiter einen großen Bedarf an Mathematik-Inhalten”. „Die Hochschulen werden über verpflichtende Eingangstests und Vorsemester nachdenken. Insgesamt tragen die fehlenden Vorkenntnisse zu einer hohen Zahl an Studienabbrüchen und zur Verlängerung der Studienzeiten bei.

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Heiko Knospe
Professor für Mathematik in der Nachrichtentechnik

My research interests include number theory, cryptography and network security.